Gerade geht die Session 2017/18 des Karnevals wieder zu Ende. Wieder haben sich Millionen Fernsehzuschauer die Live-Übertragungen der Rosenmontagszüge in Mainz, Köln und Düsseldorf angeschaut. Da stellt man sich die Frage, weshalb das närrische Brauchtum ausgerechnet im Rheinland eine derart große Bedeutung hat. Ja, Spötter fragen sich auch, ob die Rheinländer so jeck sind, weil sie den Karneval haben, oder ob der Karneval besonders in dieser lebensfrohen Region so wichtig werden konnte. Beide Antworten scheinen nicht so ganz richtig zu sein. Dass die Umzüge und Sitzungen aus den Metropolen am Rhein so populär sind, hat im Wesentlichen damit zu tun, dass sich in den Fünfzigerjahren die Fernsehanstalten auf diese Ereignisse stürzten, während alle anderen Fastnachtsbräuche eher im Lokalen bekannt blieben.

Tatsächlich liegt es an den Römern, den Venezianern und den Franzosen, dass ausgerechnet am Rhein so intensiv gefeiert wird. Denn die Historiker sind sich einig, dass die Ursprünge des Karnevals bei den römischen Frühjahrsfesten, den Saturnalien zu suchen sind. Zwar wurden sie zur Wintersonnenwende im Dezember gefeiert, aber viele Elemente des modernen Karnevals finden sich schon bei diesen ausschweifenden Feierlichkeiten zu Ehren des Gottes Saturn. So galten in den sechs Tagen (So lange dauert auch der Straßenkarneval im Rheinland.) alle Standesunterschiede – auch die zwischen Sklaven und freien Bürgern – als aufgehoben, es wurde intensiv getrunken, viel gesungen und getanzt. Selbst ein Vorbild für den Rosenmontagszug lässt sich aus den Zeiten des römischen Reiches nachweisen.

Die Römer und ihre Saturnalien

Nun waren die Römer bekanntlich über Jahrhunderte Besatzungsmacht des linken Rheinufers und damit in ständigem Kontakt mit den Germanen auf der anderen Seite. Gut möglich, dass sich die Vorfahren der heutigen Deutschen den wilden Frohsinn bei den Römern abgeguckt haben. Ob tatsächlich vor dem 12. Jahrhundert solche Saturnalien oder vergleichbare Feste von den nicht-römischen Völkern am Rhein gefeiert wurden, ist nicht bekannt. Jedenfalls stößt man auf Berichte von den Vorläufern des Karnevals zuerst um das Ende des 13. Jahrhunderts herum – u.a. im Parzival des Wolfram von Eschenbach. Der erwähnt die Fastnacht und weiß zu erzählen, dass es die Menschen zum Beginn der vorösterlichen Fastenzeit ordentlich haben krachen lassen.

Tatsächlich scheinen diese Feste zum Ende des Winters hin über die Jahrhunderte vor allem eine Angelegenheit der Bauern und Handwerker, also des einfachen Volkes gewesen zu sein. Der Adel und der Klerus vergnügten sich vor Beginn der Fastenzeit eher mit pompösen Bällen, bei denen mächtig gesoffen und ausschweifend getafelt wurde. Das gilt vor allem für die Republik Venedig, wo man den Karneval ab dem 6. Januar bis Aschermittwoch so intensiv zelebrierte, dass das normale Leben in der Lagunenstadt über mehrere Wochen beinahe stillstand. Die Maskenbälle in Venedig wurden schon ab dem 14. Jahrhundert zu einem Mythos, den vor allem der Adel im nördlichen Europa zutiefst bewunderte. Und in Italien imitierte man diese Spielart des venezianischen Karnevals in allen reichen Städten.

Anna Maria Luisa di‘ Medici und der venezianische Karneval

So brachte die beim Volk höchst beliebte Anna Maria Luisa de‘ Medici diese Tradition mit nach Düsseldorf, nachdem sie den pfälzischen Kurfürsten Johann Wilhelm, den die Düsseldorf liebevoll Jan Wellem nennen, geheiratet hatte. Man kann nachweisen, dass ab etwa 1695 bis auf den heutigen Tag jedes Jahr Karnevalsbälle nach venezianischem Muster in Düsseldorf stattgefunden haben und stattfinden. In Köln blieb der Fastelovend dagegen eine derbe Festivität der einfachen Leute, während die Fastnacht in Mainz vor allem eine Angelegenheit der Handwerker und der Bauern im Umland war – in beiden Fällen eng verbunden mit dem dort herrschenden Katholizismus.

Die französischen Revolution von 1789 bis 1799 brachte Europa auf beinahe jedem Gebiet gewaltige Veränderungen; am weitreichendsten war und ist sicher das Aufkommen des städtischen Bürgertums, der Bourgeoisie. Die löste innerhalb weniger Jahre Adel und Klerus als führende Gesellschaftsschicht ab. Aber gerade die wohlhabenden Bürger waren darauf erpicht, sich vom einfachen Volk und ihrem groben Leben abzugrenzen. So kam es, dass zuerst ab 1820 zuerst in Köln, dann in Mainz und wenig später auch in Düsseldorf Karnevalskomitees bildeten. Die hatten die Aufgabe, den Karneval wohlanständig zu machen und straff zu organisieren.

Der große französische Einfluss

Dies aber auch auf dem Hintergrund der aufkommenden Nationalbewegung der Deutschen. 1801 hatte Napoleon als französischer Kaiser die zuvor einige Jahre besetzt gehaltenen linksrheinischen Gebiete des Rheinlands annektiert, vor allem Mainz, Koblenz und Köln waren die wichtigsten Garnisonen. Düsseldorf war zwar ab 1795 ebenfalls französisch, wurde aber nicht Teil des Reiches. Immerhin kam Napoleon 1811 persönlich für drei Tag vorbei, und das Volk feierten ihn gehörig. Überhaupt waren die Rheinländer nicht unglücklich darüber, mehr oder weniger zum Reich des Kaisers zu gehören – nicht zuletzt, weil dies die territoriale Vereinigung mit sich brachte, die zuvor trotz großer kultureller Homogenität nie möglich war.

1815 waren die Franzosen wieder weg, aber ihre Kultur bestimmte immer noch das Leben im Rheinland, ganz besonders in den genannten Städten. Noch heute findet man in Mainz, Koblenz, Köln und Düsseldorf viele Spuren der Zeit – bis hin zur Verbreitung des französischen Vornamens Jean, der zu Schäng verballhornt noch recht gebräuchlich ist. Am Ende der Befreiungskriege gegen die französischen Besatzer entstand die preußische Rheinprovinz, und die Rheinischen, die nur teilweise froh waren, Napoleon losgeworden zu sein, hatten auf einmal die staubtrockenen, misstrauischen Preußen am Hals. Die erlaubten zwar den durchorganisierten Karneval der Festkomitees und die Rosenmontagszüge, hatten aber ein Auge auf das, was die Karnevalisten so an politischen Botschaften vertraten.

Als die Preußen kamen

Tatsächlich fühlten sich gerade die Bürger von den Preußen besetzt und übten sich bis zum deutsch-französischen Krieg und dem Beginn des Kaiserreichs ab 1871 im passiven Widerstand. Hauptsächlich machte man sich über das Militärische lustig … und parodierte dies im Karneval nach Kräften. Was bei den Preußen steif und unfroh wirkte, machten die Karnevalsvereine bunt und lustig. Noch heute ähneln die Uniformen der diversen Garden und Funken denen der preußischen Armee, aber im Gegensatz zu denen sind die närrischen Klamotten grell bunt, gern rot oder blau und mit allerlei Federn und Fransen geschmückt. Auch die überragende Bedeutung der Zahl Elf im rheinischen Karneval war Ausdruck des stillen Protestes – wo doch beim Militär alles in geraden Zahlen gemessen wird.

In Düsseldorf aber wurde ohne Unterbrechung die Tradition der venezianischen Bälle weitergeführt. 1853 veranstaltete der Künstlerverein Malkasten seine erste „Redoute“, einen rauschenden Maskenball, der zunächst gar nicht dem „anderen“ Karneval zugerechnet wurde. Diese Veranstaltung wurde aber zur Urmutter des Saalkarnevals – nicht nur in Düsseldorf – und ist der Ursprung dessen, was man den Düsseldorfern gern als „Lackschuhkarneval“ ankreidet. Der Düsseldorfer Karneval unterscheidet sich aber noch in einem weiteren Punkt von dem in Mainz und Köln: Er ist erheblich weniger konfessionell. Während es linksrheinisch noch bis in die Fünfzigerjahre schwer möglich war, als Protestant (oder gar Anhänger einer anderen Religion) Mitglied in einem der renommierten Karnevalsvereine zu werden, gab man sich im Ort, den Anna Maria Luisa di‘ Medici zu einer Stadt von Kunst, Kultur und Mode gemacht hatte, von Anfang weltoffen und tolerant.

Und die Binnenschiffer, wie gehen die mit dem Karneval um? Darüber gibt es wenig zu berichten. Bekannt ist nur, dass die Leute, die auf Rheinschiffen arbeiteten, aber in einer der Karnevalsmetropolen geboren waren und sind, Jahr für Jahr danach trachten, spätesten zum Wieverfastelovend bzw. zu Altweiber in ihrer Heimatstadt zu sein, um dann diesen und die folgenden drei tollen Tage nach Kräften mit zu feiern.

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